Ausgangspunkt war sein Buch „Der Lärm des Lebens“. Hartmann hatte zu Corona-Zeiten den Drang verspürt, seine Geschichte aufzuschreiben, Bezüge zur Gegenwart herzustellen. Das Ergebnis: eine höchst unterhaltsame Mischung aus amüsanten und tragischen Begebenheiten.
So die Schilderung des Leichenschmauses nach der Beerdigung seines Vaters in dessen Stammkneipe „Albert“. Der Vater, ein Macher, einer, der für seinen Handball lebte, „ein bunter Vogel“, wie Hartmann ihn beschrieb, war zum Ende seines Lebens ein dementer Mann. Eine Tragik mit positiver Perspektive. Der Vater hatte nach seinem Ableben „alle wieder zusammengebracht. Sein letztes Geschenk.“
Familiäre Anekdoten und große Geschichte
Im Gespräch mit Terry Albrecht schildert Jörg Hartmann, wie er raus wollte aus der Enge Herdeckes, der kleinen Stadt an der Ruhr, wie er als „Zivi“ das Bild des anthroposophischen Übervaters Rudolf Steiners in der dortigen Klinik abhängte, den „Altar der Anthroposophie“ entweihte, wie er versuchte, aus seiner Studentenbutze „in den Tempel der Kunst“ zu gelangen, zur Berliner „Schaubühne“ zu kommen und wie Stunden nach dem Mauerfall 1989 ein Pärchen aus Dresden, das sie im Ungarn-Urlaub kennengelernt hatten, vor der Haustür in Herdecke stand. „Die Zeitgeschichte hatte an der Tür geklingelt“ schildert er die „Wiedervereinigung im Kleinen“.
Bei Hartmann, vielen bekannt als Dortmunder Tatort-Kommissar Peter Faber oder linientreuer Stasi-Offizier Frank Kupfer aus der ARD-Serie „Weissensee“, wird aus der Lesung stellenweise szenisches Theater. Er liest, rezitiert, singt auch mal. Die Sequenzen sind mal befreiend, wie Reaktionen im Publikum zeigen, auf das Hartmann eingeht, mal aber auch bedrückend, erschreckend, warnend, wenn er den strammen Nazi-Polizisten schildert, der machtgeil andere schikaniert, wie seine gehörlose Großmutter und wie mehr und mehr von denen, die die im Luftschutzbunker Schutz suchen in abfällige Bemerkungen einstimmen.
Auch eine Warnung davor, dass sich Geschichte wiederholen könnte, wenn Rechtspopulisten und Nazis – echte oder verkappte – wieder Oberhand gewinnen. Aber er vermittelt auch Hoffnung. „Jeder kannte jeden“ in Herdecke. Das sei, meint Hartmann, letztlich vielleicht auch ein Hemmnis für noch weitergehende Brutalität gewesen. Es sind solche Szenen, die das Buch auch zu einer Psycho- und Gesellschaftsanalyse machen.
Vielseitig, unprätentiös, nahbar. Nach 90 Minuten Lesung stellte sich Hartmann noch den Fragen des Publikums. Mit seiner Einladung hatten die Buchhandlung Schmitz und das Team der Stadtbücherei, die die Literaturtage organisieren, auch beim zweiten Termin nach dem Neustart eine glückliche Hand. Sie konnten sich über einen guten Besuch freuen. Die 250 Besucher genossen einen unterhaltsamen Abend. Und Hartmann findet an seiner neuen Rolle als Lesereisender, die ihn durch die Republik trägt, auch Gefallen. Ein rundum gelungener Abend, amüsant, aber auch mit nachdenklichen Noten.