Gedenkzellen-Vorsitzender Christian Bley eröffnete am Montag die Ausstellung, dankte Hans-Werner Hoppe für die Unterstützung bei der digitalen Umsetzung und der Stadt Lüdenscheid für die Zurverfügungstellung des Rathausfoyers. Den gut 50 Gästen legte er die ZDF-Dokureihe „Hitlers Volk – ein deutsches Tagebuch“ ans Herz. Die vierteilige Reihe schöpft aus Tagebüchern von Zeitzeugen, Mitläufern, glühenden Fanatikern, Verfolgten, Gequälten, Tätern und Opfern, Überlebenden.
Bley wies explizit auf die Bildaussage des Einladungsplakates zur Ausstellung hin, auf dem sich eine Aufnahme vom 13. Juni 1936 befindet. Hitler wohnt auf der Hamburger Werft von Blohm & Voss dem Stapellauf des Segelschulschiffs „Horst Wessel“ bei; beim Abspielen der Nationalhymne recken die Arbeiter ihren rechten Arm zum „deutschen Gruß“, zum „Hitlergruß“. Ein einziger Mann verweigert sich mutig und sitzt mit verschränkten Armen. Bley: „Der Deutsche Gruß war eine Unterwerfungsgeste. Er war seit August 1933 zwingend in deutschen Betrieben vorgeschrieben.

Wer genau der Mann war, ist nicht zweifelsfrei geklärt; zwei namentlich bekannte Mitarbeiter kommen in Frage. Das Bild ist um die Welt gegangen und gilt als Ausweis großer Courage.

Für Geschichtslehrer und Gedenkzellen-Vorstandsmitglied Matthias Wagner ist es die 15. Ausstellung in Lüdenscheid. Seine Geschichtsforschung habe 1978 begonnen, als ihn Schüler fragten, was es eigentlich mit dem „Russenfriedhof“ auf sich habe – den jungen Leuten war der historische Hintergrund schlicht unbekannt. Nach 47 Jahren Aufarbeitung, Quellenforschung, Zeitzeugeninterviews, Archiverkundung, stelle die aktuelle Ausstellung gewissermaßen eine Gesamtschau dar. Wagner: „Wir müssen uns erinnern; das ist unser Job.“

Nach dieser Einordnung stellte Wagner seinen Zuhörern die Ausstellung vor, die in zwei Partien je acht sehr ausdrucksstark gestaltete betextete Roll-Ups umfasst. Die ersten acht Ständer beschäftigten sich mit den zwölf Jahren vor 1945; die weiteren acht Rolltafeln haben die zwölf Jahre nach 1945 zum Thema. Als Leitbegriffe wurden die jeweiligen Ideologien, sprich: die Menschenbilder, gewählt. Für den NS-Staat wählten die Ausstellungsmacher „Du bist nichts, dein Volk ist alles“ als Ausdruck der Verachtung des Einzelnen aus, für die Bundesrepublik Deutschland Artikel 1 des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
Als in Lüdenscheid verortete Ausstellung geht die Präsentation auf örtliche Fakten ein. Erwähnung finden die mindestens 50 Lüdenscheider Opfer des Holocaust, 4.000 NS-Opfer in oder aus Lüdenscheid insgesamt, die Opfer der NS-Euthanasie und die Schicksale der 7.500 Zwangsarbeiter. Wagner arbeitete heraus, wie es sich mit dem „Wegsehen“ nach 1945 verhielt: „Nach 1945 wurden die Schicksale der jüdischen Bürger in Lüdenscheid weitgehend verschwiegen und erstmalig 1988 zum 50. Jahrestag der Pogromnacht in der VHS dokumentiert.“

Ausführlich beschäftigte sich Wagner dann mit einer aktuellen Presseveröffentlichung zum 80jährigen Kriegsende aus Lüdenscheider Sicht. Dort blieben – Wagner rechnete das explizit vor – durch Unterschlagung bekannter Fakten 90 Prozent der Opfer des Jahres 1945 unerwähnt. Das letzte Kriegsjahr allein mit über 1.000 Lüdenscheider Toten von insgesamt über 4.000 NS-Opfern werde reduziert auf kaum 100 Menschen, die beim Angriff auf die Schnurre und auf den Oberen Worthhagen getötet worden seien. Will sagen: Es fehlen 900 Tote, wortreich werden sie verschwiegen.
Wagner nutzte seine Position, sich für Aufklärung und gegen Schlussstrich-Debatten auszusprechen. Wo Verharmlosung und Vergessen der Boden bereitet werde, könne der NS-Geist mit seinen Unmenschlichkeiten heute wieder an Macht gewinnen.

Die Ausstellung im Jürgen-Dietrich-Forum / Rathausfoyer ist während der Öffnungszeiten des Lüdenscheider Rathauses zugänglich.
Weitere Veranstaltungen im Rahmen der Ausstellung:
19. Mai, 18 Uhr Lesung und Musikalische Performance
„Spur und Abweg“: Der Rapper und Autor Kurt Tallert alias >Retrogott< verbindet Buchkapitel, Gedichte und Rap zu einer berührenden Reise durch seine jüdische Familiengeschichte. Die Geschichte seiner Familie ist geprägt durch NS-Verfolgung und seiner Behandlung in Nachkriegsdeutschland.
26. Mai, 18 Uhr Filmvorführung bei FRIEDA – Bar und Kulturlocation, Herzogstraße 3
Film „Nestwärme – mein Opa, der Nationalsozialismus und ich“ mit dem Leitmotiv der Familienforschung zur NS-Verstrickung. Der Autor und Regisseur Eric Esser ist anwesend.