In dem Stück geht es wie in Tallerts Buch „Spur und Abweg“ um seinen Vater Harry, der während der Nazi-Herrschaft als Halbjude aufwuchs. Das Bild seines Vaters musste sich Kurt Tallert mühsam erarbeiten. Tallert starb, als sein Sohn gerade mal zwölf Jahre alt war. Tallerts Mutter erzählte nicht viel. Sein Bild machte sich der DJ, Rapper, Musikproduzent und Autor anhand von Aufzeichnungen, die bei einem Brand des elterlichen Hauses gerettet werden konnten.
Wie ist es, als Sohn eines von den Nazis verfolgten Vaters zwischen den Enkeln von Tätern aufzuwachsen? In „Spur und Abweg“ stellt Kurt Tallert sich der Verfolgungsgeschichte seiner Familie. Das Besondere an seinem Schicksal und seiner Perspektive auf die deutsche Geschichte: Kurt Tallert ist heute 37 Jahre alt, und doch wurde sein Vater als junger Mann noch von den Nazis als „Halbjude“ verfolgt. Harry Tallert ist bei der Geburt seines Sohnes 58 Jahre alt. Und stirbt zwölf Jahre später. Schon als Schüler muss Kurt Tallert erfahren: Was für weite Teile seiner Generation Schulbuchvergangenheit ist, ist für ihn lebendig, zum Greifen nah, die Geschichte seines Vaters. Eines Vaters, der nach der Befreiung in Deutschland bleibt, Journalist wird und Mitglied des Bundestags. Und der doch ein Leben lang seinen Platz sucht.
Neues Leben an der Stätte des Todes
Kurt Tallert forscht in seiner Familiengeschichte, hat die Akten und Briefe seines Vaters gelesen und fährt nach Theresienstadt, wo sein Vater inhaftiert war. In einer Gefängniszelle des Konzentrationslagers beobachtet er einen Vogel, der seine Jungen füttert. Neues Leben an der Stätte des Todes. Das hat bei Kurt Tallert einen tiefen Eindruck hinterlassen. Darüber reflektiert der Autor und über die Verwandten, die er nie kennengelernt hat. Aber auch über den Gerechtigkeitssinn seines Vaters, des Bundestagsabgeordneten, der sich gegen Herbert Wehner auflehnt, als die SPD-Fraktion einen Ex-Nazi zum obersten Verfassungsschützer mit wählt.

Überliefertes trifft auf Verdrängtes
So trifft Überliefertes auf Verdrängtes, Erlebtes auf Erinnertes. „Ich schreibe gegen das Vergessen an, dessen Ausmaß man nicht messen kann“, rappt er von den Aufstellern in der Ge-Denk-Zellen-Ausstellung im Rathausfoyer. Im Gespräch mit dem Publikum unterstreicht er später: „Deutschland ist in der Summe nicht so scharf auf Erinnerungskultur“. Dabei gebe es jede Menge Zeitzeugen-Interviews, die das Ausmaß der NS-Schreckensherrschaft und das Verhalten von Nazi-Größen in der Nachkriegszeit belegten, sagt Kurt Tallert.
Sein Vater war nach außen hin übrigens eher ein Verdränger. „Mit dem Thema Abstammung wollte er nach dem Krieg nichts mehr zu tun haben“, hat Kurt Tallert herausgefunden. Auch das gehört zum Schicksal von Harry Tallert, der seinen Sohn trotz seiner Traumata liebte und ihm Werte vermittelte.