Das hier ist die Geschichte einer "Erfahrung" der eigenen, besonderen Art. Hier geht es um eine Reise, die eigentlich zu einem nahen und schnell erreichbaren Ziel führen sollte - Westerburg im Westerwald. Es wurde daraus ..... ach, lesen Sie selbst!

Der Plettenberger Unternehmer Ernst E. Fastenrath war Fabrikant, Flieger und Filmer. Er hat aus den 40er, 50er und 60er Jahre eine ganze Reihe zeitgenössischer Heimatfilme hinterlassen, die der Holthauser Filmbegeisterte Georg Prüß auf seinem Youtube-Kanal „Heckmecke-Studios“ der Öffentlichkeit zur Verfügung stellt. Dort findet sich auch ein bezaubernder Fastenrath-Film „Die Reise von Plettenberg nach Westerburg“, entstanden 1952. Fastenrath hat gefilmt, wie er sein Zweigwerk in Westerburg besucht und zu diesem Zweck mit dem Vorkriegs-Mercedes in den Westerwald reist – seine Fahrt ein tagesfüllendes Werk. Wieso ich das erwähne? Weil ich gerade eine Bahnfahrt von Plettenberg nach Westerburg hinter mich gebracht habe und seither wieder weiß, wie weit es nach Westerburg ist.

Mutternfabrikant Ernst E. Fastenrath (2.v.r.) war nicht nur Untenehmer, sondern auch begeisterter Filmer - und drehte 1952 "Die Reise von Plettenberg nach Westerburg".
Foto: Fastenrath Befestigungstechnik GmbH

Dass man mit dem Auto heute in 90 Minuten von Plettenberg in Westerburg ist – geschenkt. Auch Schraubmutternfabrikant Ernst E. Fastenrath hätte 1952 nur ungläubig den Kopf geschüttelt und gesagt „Westerburg – das dauert“. Die schnellste Bahnverbindung kommt heutzutage übrigens auf dreieinhalb Stunden.

Wie schon erwähnt: Ich will mit der Bahn nach Westerburg. Fahrplan und Fahrkartenkauf finden wir im Internet. Oh ja, das ist wirklich spannend in diesem Internetz: Für 6.04 Uhr bietet die Bahn gleich zwei Züge gen Süden an: Mit IC 2223 geht’s es für 16,49 Euro nach Westerburg, mit dem Regionalexpress 34 zur gleichen Zeit für 30,30 Euro. Für beide Verbindungen ist die Fahrzeit übrigens die gleiche; die Umsteigebahnhöfe sind dieselben. Spannende Nummer, ja!!!

Ihr habt’s natürlich geahnt: Ich bin ein Fuchs und kaufe das günstige Ticket. Und klar: Ich bin auch ein Checker und weiß, dass es sich beim IC 2223 und der Regionalbahn 34 um ein und denselben Zug handelt. Der Intercity ist für Nahverkehrskunden freigegeben und kostet dann (logisch, woll?) mal eben den schlappen doppelten Preis. Deutsche Bahn, Du bist schon ein töffter Verkäufer, das muss ich doch hier mal feststellen.

Ernst E. Fastenrath 1952 mit seinem Mercedes unterwegs von Plettenberg nach Westerburg. 75 Jahre später gibt es ähnliche Reiseerlebnisse noch immer oder schon wieder - mit der Deutschen Bahn
Foto: Repro Aschauer-Hundt

Also auf nach Westerburg! Abfahrt ist um besagte 6.04 Uhr, so ist’s geplant. Pünktlich um 5.39 Uhr klingelt die erste Bahn-Email an und verkündet so undramatisch wie beiläufig „Guten Morgen,  Stefan Aschauer-Hundt, es gibt eine Änderung auf Ihrer heutigen Reise von Plettenberg nach Westerburg. Die Abfahrt Ihrer heutigen Reise mit IC 2223 von Plettenberg nach Siegen Hbf um 06:04 Uhr verspätet sich um 11 Minuten. Voraussichtliche Abfahrtzeit ist 06:15 Uhr.“ Nicht weniger als acht Mails sollen es an diesem Tag noch werden, aber das ist um 5.39 Uhr noch Zukunft, zumal so viel Gummi im Fahrplan ist, dass es allemal passt.

Tatsächlich kommt der Intercity in Plettenberg zehn Minuten zu spät an und fährt mit der gleichen Verspätung ab – kommt aber schon in der Plettenberger Ausfahrt nicht richtig aus dem Knick. Das Popometer meldet „irgendwie langsam“. Immerhin begrüßt der Zugführer die wenigen Fahrgäste dienstbeflissen auf deutsch, englisch, denglisch und einem Mischmasch aus alledem. Mit deutsch-denglisch und englisch-deutsch in wilder Kombination. Comedian Lurch Peter Hansen kanns nicht besser, denke ich; verstanden wird ein geknödeltes Irgendwas.

Nicht weniger als acht Emails schickt die Bahn und von Mal zu Mal wird die Fahrplanlage kniffliger.
Foto: Repro Aschauer-Hundt

In Grevenbrück sind wir schon 15 Minuten zu spät dran, kommen immerhin nach Altenhundem und kriechen dann mehr als wir schleichen über die kaputten Bahnbrücken nach Welschen Ennest. Die nächste Mail der Bahn tröstet mich, dass wir den Anschluss in Siegen nicht mehr erreichen werden. Die Zugbindung sei übrigens aufgehoben und ich möge mir eine neue Verbindung suchen. 19 Minuten zu spät in Kreuztal, 23 Minuten in Weidenau. Als wir Siegen mit plus 25 erreichen, wäre der Anschluss natürlich weg gewesen – wäre er denn schon gefahren. Ist er aber nicht. Der Regionalexpress 9 aus Köln, der in Siegen auf „meinen“ Anschluss wenden sollte, ist noch gar nicht angekommen, steckt noch irgendwo im Siegtal.

Um 8.10 Uhr würde übrigens nach der Bahn-App die nächste Verbindung mit dem RE 9 nach Köln fahren, aber dieser Zug wird fürsorglich-vorausschauend bereits als „fällt aus“ gemeldet. Welcome to Siegen also! --- Was die Bahn-App geflissentlich verschweigt: Um 7.31 Uhr fährt ein Triebwagen der Hessischen Landesbahn von Siegen nach Au/Sieg – dorthin, wo ich ohnehin hin muss. Wer das schnallt, ist klar im Vorteil. Wer für diese Delikatesse keinen Blick hat, der bleibt stehen. So einfach ist es. Vorsorglich mailt die Bahn, mein Anschluss in Au/Sieg platze ebenfalls. Aber die Zugbindung sei aufgehoben, so what ….  Dass ich eine eigene Alternative in petto habe, die „Hessische“ eben, ahnt die famose Bahn ja nicht.

Was soll ich sagen: Die „HLB“ fährt auf die Minute pünktlich ab, flitzt präzise durchs Siegtal, begegnet unterwegs dem eine Dreiviertelstunde zu späten RE 9 aus Köln und kommt mit Zeigersprung in Au an. Da siehts erstmal traurig aus: Der bundeseigene Bahnhof eine Bruchbude, dreckig, runtergekommen, bröselig. Die Weiterfahrt – per Bahn nicht möglich. Es gibt wohl eine Riesenbaustelle auf der bundeseigenen Westerwaldstrecke zwischen Au und Nistertal. „Schienenersatzverkehr“ ist angesagt, aber schlecht ausgeschildert. Wo fährt das Teil denn ab? Auf dem Bahnhofsvorplatz wohl nicht – aber nach suchendem Umherirren findet ich tatsächlich die Haltestelle. Juchhuh, ich bin’s ja, der Checker!

Der von der Hessischen Landesbahn gecharterte Linienbus kommt pünktlich, hat aber seine besten Tage schon lange hinter sich. Doch er fährt – und kurvt über Sträßchen und durch Dörflein, die im Heimatfilm von Ernst E. Fastenrath ihren Platz hätten. 1975 gab es übrigens den Liederwettbewerb des Westerwaldkreises, ein neues Westerwaldlied zu kreieren. Hansl Krönauer, Gallionsfigur der volkstümlichen Musik und Gastwirt aus dem oberbayerischen Benediktbeuren (!!!) gewann damals mit „Westerwald, Du bist so schön mit Deinen Tälern Deinen Höh’n – und so herrlich anzuseh’n die vielen Wälder und die Wiesen“. Das kommt jetzt aus den hintersten Hirnwindungen wieder nach vorne, als der sehr auswärtige Chauffeur, der ziemlich gebrauchte Bus und ich für eine geschlagene Stunde über den Westerwald reiten.

In Nistertal hat die wilde Jagd ein Ende; dort steht der nächste Zug der Hessischen Landesbahn zur Weiterfahrt bereit. Pünktlich geht’s nach dessen Fahrplan los, ebenso pünktlich kommen wir in Westerburg an. In der Summe hat’s eine Stunde länger gedauert, jetzt also viereinhalb Stunden. Alle Züge der Deutschen Bahn an diesem Morgen haben gepatzt, alle Verbindungen der Hessischen Landesbahn waren auf Zeigersprung pünktlich. Lassen wir einfach Lurch Peter Hansen zu Wort kommen: „Zänk you für träwweling with Deutsche Bahn“.

Soviel sei zur Ehrenrettung und als Erste-Hilfe-Anleitung an dieser Stelle doch noch festgestellt:
1) Das System Bahn befördert Dich und es bringt Dich ans Ziel und liefert Dich ab. Oft nicht nach Fahrplan, aber Du kommst an.
2) Mitdenken ist nicht nur ein nice to have, sondern unbedingte Notwendigkeit. Es gibt Züge, die erst auf den zweiten oder dritten Blick als perfekte Alternative helfen, dass Du ans Ziel kommst.
3) Fahrpläne sind Anhaltspunkte, ein "so könnte es gehen". Gesetz sind sie nicht.
4) Die Bahn-Mitarbeiter können nichts dafür. Freundlichkeit im gegenseitigen Umgang hilft ungemein und wirkt entspannend. Ansonsten gilt das Kölsche Grundgesetz: Et es wie et es, et kütt wie et kütt, et hätt noch immer jot jejange – und do laachste dech kapott. Glaubt’s mit: Ihr kommt an!