Heinz Wever, Herscheids Zeichner und Maler, Poet und Mundartdichter, segelte am 19. September 1926 an Bord der „Vaterland“ mit Felix Graf Luckner von Bremerhaven nach New York – für das kleine Herscheid war das eine Sensation. 30 Jahre später stellte Heimatfilmer Paul Kellermann im Herscheider Bahnhof die Szene nach und ließ Wever erklären, wie man von Herscheid in die neue Welt, also nach New York, komme. Wevers knorrige Antwort auf Sauerländer Platt: Da müsse man in Eiringhausen umsteigen. Herscheids Bahnhof – da war es, das Narrativ: Das Tor zur Welt. Spätestens heute Abend ist dieses Tor zur Welt gefallen. Die Gemeinde lässt den Bahnhof gerade – 18. September – abreißen.

Staubfahnen wehen über das Grundstück zwischen Hauptfeuerwache und Sportplatz, wo einst Gleise lagen. Der große Hydraulikbagger hat schon ganze Arbeit geleistet und frisst sich Stück für Stück von oben nach unten durch das Bahnhofsgebäude, filetiert den Gebäudekörper und sortiert, einer riesigen Pinzette gleich, nach den einzelnen Baustoffen. Metall zu Metall, Balken zu Balken, Holz zu Holz, Leitungen zu Leitungen.

Etliche Container stehen bereit, die einzelnen Materialfraktionen aufzunehmen und zur Entsorgung zu bringen. In den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts hätte man ein Gebäude wie dieses, in dem sich Unmengen an Holz befinden, einfach angesteckt und eine zünftige Feuerwehrübung veranstaltet – so etwas verbietet sich heute natürlich und so wird penibel getrennt und recycelt.

Apropos Feuerwehrübung: Es ist die Feuerwehr, die das Gelände des Bahnhofs brauchen wird. Schon vor vielen Jahren hatte die Gemeinde den Bahnhof vorausschauend erworben, um sich Baugrund für eine neue bzw. erweiterte Feuerwache zu sichern. Die 1979/1980 errichtete „neue“ Wache an der Bahnhofstraße war vor 45 Jahren zeitgemäß – heute platzt sie aus allen Nähten und auch ein vor 15 Jahren angesetzter kleiner Erweiterungsbau hat keine wirkliche Entlastung gebracht. Immer größere Fahrzeuge, mehr Aufgaben und komplexeres Gerät müssen untergebracht werden; von Schwarz-Weiß-Trennung und separaten Umkleiden muss man gar nicht erst reden. Kurzum: die Planungen für die dritte Generation Feuerwache (nach dem ersten Spritzenhaus am Hallenplatz und dem zweiten Gerätehaus an der Bahnhofstraße) sollen demnächst beginnen.

Weil das vorhandene Gerätehaus aus allen Nähten platzt, müssen Fahrzeuge bereits im Freien stehen.
Foto: Aschauer-Hundt

In den letzten Jahren stand der Bahnhof leer, nachdem die Gemeinde zunächst noch Flüchtlinge in den Wohnräumen im Dachgeschoss untergebracht hatte. Im Güterschuppen und im Untergeschoss waren in den 80er- und 90er Jahren noch zwei metallverarbeitende Betriebe, Klaus Spangenberg und Eugen Brüchle, angesiedelt. Der Betrieb Spangenberg hielt sich länger im Bahnhof; der Güterschuppen war schon vor Jahren abgerissen worden und nur das eigentliche Empfangsgebäude, in dem übrigens ursprünglich eine Bahnhofsgaststätte bestand, blieb übrig.

Mit einer Postkarte wurde 1915 der erste Zug von Herscheid nach Plettenberg gewürdigt.
Foto: Sammlung Aschauer-Hundt

Die Eisenbahnstrecke von Plettenberg-Eiringhausen nach Herscheid war einst Bestandteil einer geplanten Linie vom Lennetal über Herscheid nach Lüdenscheid und weiter ins Volmetal, blieb aber im Zuge des 1. Weltkrieges in Herscheid unvollendet stecken. 1915 wurde der Bahnverkehr auf der Stichbahn eröffnet. Schon nach 50 Jahren, 1965, wurde der Personenverkehr eingestellt. Der Güterverkehr nach Herscheid hielt sich noch bis 1969, dann wurden die Gleise zwischen Hüinghausen und Herscheid demontiert. 1976 wurde auch der Abschnitt von Plettenberg-Oberstadt nach Hüinghausen aufgegeben und 1996 fuhr der allerletzte Güterzug von Eiringhausen nach Oberstadt.

Jetzt ist mit dem Bahnhofsgebäude in Herscheid das letzte Relikt der Bahnzeit gefallen, 110 Jahre nach Eröffnung der Eisenbahn. Nur der Name „Bahnhofstraße“ erinnert an das Gewesene. Zwischen Herscheid und Hüinghausen erinnern noch das liebevoll erhaltene, in Privatbesitz gehaltene Stationsgebäude in Birkenhof und der in verwunschener Abgeschiedenheit stehende Viadukt nahe der Weißen Ahe an die Bahn …. und natürlich das größte technische Denkmal des Kreises, die Sauerländer Kleinbahn, die von Hüinghausen aus auf die Reise geht und bis Köbbinghauser Hammer fährt. Dort aber ist dann Endstation. Ein Umstieg nach Amerika ist damit völlig ausgeschlossen.