Der Internist, der in diesem Jahr 61 Jahre alt geworden ist, sagt von sich selbst: „Ich bin nicht auf die Welt gekommen, um Arzt zu werden.“ Aufgewachsen in Schleswig-Holstein, mit dem Blick auf die Küste, wäre für ihn nach Abitur und Bundeswehr auch eine Karriere als Meeresbiologe denkbar gewesen.
„Mir war vor allem wichtig, etwas mit Naturwissenschaften zu machen. An eine mögliche Ausbildung zum Arzt hat damals in meiner Familie keiner geglaubt“, erinnert er sich. Umso überraschender war es, als er von der ZVS (Zentrale Vergabestelle für Studienplätze) einen Studienplatz zugewiesen bekam. Dass seine Studienzeit dann in Bochum stattfinden sollte, war nicht sein Wunsch. Ihn hätte es eher nach Hamburg oder Tübingen gezogen. Da es in Bochum keine ausreichenden klinischen Plätze gab, setzte er sein Studium in Köln fort und schloss im Juni 1989 sein Medizinstudium dort ab.
„Nach dem Studium konnte ich als AIPler (Arzt im Praktikum) in der Orthopädie in Höxter beginnen. Es war zu der Zeit wegen der damals vorherrschenden Ärzteschwemme gar nicht so einfach, eine Stelle zu bekommen. Natürlich kam da von meiner Seite auch der Wunsch auf, Sportmediziner oder Orthopäde zu werden. Sogar eine Weiterbildung zum Chirurgen stand im Raum. Heute bin ich aber froh, bei der inneren Medizin geblieben zu sein, denn für einen Orthopäden war ich zu wenig Werkzeugmacher“, erzählt er.
Der weitere Berufsweg führte ihn dann in die innere Abteilung des Marienhospitals nach Hückeswagen, später nach Wermelskirchen, wo er 1997 seinen Facharzt für die Innere Medizin machte.
Die eigene Praxis
In den Krankenhäusern der Umgebung gab es damals wenig Möglichkeiten der Weiterbildung oder des Aufstiegs; so keimte bei Dr. Reimer Böhm die Idee, eine eigene Praxis zu eröffnen. Sie sollte aber nicht zu weit von seinem Wohnort in Wipperfürth entfernt liegen, denn wegen seiner drei Kinder wollten er und seine Frau nicht umziehen. Genau zu diesem Zeitpunkt suchte Dr. Hermann Hochhuth einen Nachfolger für seine Halveraner Praxis. „Sie war relativ klein und am Stadtrand gelegen, also eigentlich nicht ideal“, erinnert sich Dr. Böhm. Aber da die Aussicht bestand, dass das Gebäude mit der Apotheke in der Frankfurter Straße im darauffolgenden Jahr erweitert werden sollte, griff der Internist bei dem Angebot zur Praxisübernahme von Dr. Hochhuth dennoch zu. Dieses Wissen, dass ein Jahr später ein Umzug in eine Praxis anstehen würde, in der er seine räumlichen Vorstellungen einer Praxis verwirklichen konnte, ließ ihn seine Pläne in die Tat umsetzen.
Immer noch Freude an der Arbeit
Drei Tage hatte er Zeit, sich in der Praxis seines Vorgängers einzuarbeiten. „Das ist schon lustig, wenn man bedenkt, dass Ärzte, die sich heute selbstständig machen, über zwei Jahre von der Kassenärztlichen Vereinigung betreut werden“, schmunzelt er. 27 Jahre ist das jetzt her und Dr. Reimer Böhm hat seine Selbstständigkeit nie bereut.
„Der Kontakt mit den Patienten macht es aus. Es ist einfach eine sinnvolle und befriedigende Tätigkeit und dann passt es auch, wenn die Dinge mal nicht so laufen“, zieht er Bilanz. Dennoch fehlte ihm in seiner eigenen Praxis der kollegiale Austausch mit anderen Medizinern. „Ich brauchte diese Gespräche, die gemeinsamen Überlegungen bei schwierigen Fällen. Sonst glaubt man irgendwann nur noch seiner eigenen Diagnose, wenn sie niemand kritisch hinterfragt“, begründet er den Schritt, im Oktober 2003 Dr. Matthias Zöpfgen als zweiten Arzt in der Gemeinschaftspraxis einzuführen.
Was die Gemeinschaftspraxis Dr. Böhm und Dr. Zöpfgen auch noch von vielen anderen Arztpraxen unterscheidet, ist der große Stamm an MFA (Medizinische Fachangestellte), der die Arbeit der Ärzte unterstützt. Jährliche Betriebsausflüge, flexible, vom Team gestaltete Arbeitszeiten und Wertschätzung jedes Mitarbeiters bis hin zur Reinigungskraft machen die gute Stimmung in der Praxis aus, ist sich Dr. Reimer Böhm sicher.
Es gibt viele Dinge, an die der Mediziner rückblickend auf die letzten 27 Jahre der Selbstständigkeit denkt. So sagt er: „Besonders befriedigend war es für mich natürlich, wenn ich durch meine korrekte Diagnose und Behandlung zum Beispiel bei einer Lungenembolie Leben retten konnte.“
Durch seine Weiterbildung zum „Palliativmediziner“ und aufgrund der Tatsache, dass er Gründer und erster Vorsitzender des Palliativvereins in Lüdenscheid ist, war es ihm auch immer ein wichtiges Anliegen, Sterbenden in ihren letzten Wochen und Tagen eine gute Begleitung zu bieten. „Die Menschen befinden sich dann in einer absoluten Ausnahmesituation. Da ist es umso wichtiger, den richtigen Ton zu treffen und ihnen zu versichern, dass man das ‚gemeinsam hinkriegen‘ wird, damit sie in Frieden gehen können.“
Hausarztsituation in Halver
Die Hausarztsituation in Halver schätzt der erfahrene Mediziner auch nach seinem Ausscheiden noch als relativ gut ein. „Es könnte noch einen Tick besser sein, denn auch ich kann nur gehen, weil wir vor zwei Jahren Andrea Piepenstock für die Praxis gewinnen konnten. Das war wie ein Wink des Schicksals. Bis dahin habe ich ja nur halbtags, also 12 Stunden pro Tag, gearbeitet“, sagt er mit einem Augenzwinkern. Andrea Piepenstock wird seine Nachfolge als gleichberechtigte Partnerin von Matthias Zöpfgen übernehmen.
Für die Tatsache, dass es zu wenige Hausärzte gibt, sieht Dr. Reimer Böhm zwei Hauptgründe. Zum einen bekommen die Patienten bei den Fachärzten immer schlechter Termine. In ihrer Not gehen sie dann zum Hausarzt, um zumindest eine erste Hilfe zu bekommen. „Außerdem wird die Medizin weiblich. Immer mehr Frauen studieren Medizin, wollen dann aber, auch wegen der Betreuung ihrer Kinder, im Berufsleben nicht so viele Stunden arbeiten, wie es bei den männlichen Medizinern immer üblich war.“ Sicher ist aber, so Dr. Böhm, dass die Menge der Arztstunden in Deutschland angesichts der demografischen Entwicklung nicht ausreichend ist.
Internistische Fälle und „Beifang“
Die meisten Krankheiten, die nach wie vor in der Gemeinschaftspraxis behandelt werden, sind internistischer Natur. „Begleitung von chronischen Krankheiten, Behandlung von Bluthochdruck und grippalen Infekten machen 90 Prozent unserer Fälle aus“, resümiert Dr. Böhm. „Dazu kommen Rückenprobleme, wenn die Patienten zum Beispiel keinen Termin beim Orthopäden bekommen.“ Ab und zu behandelt er auch mal einen „Beifang“, wie er es nennt, also Schnittwunden oder einen verstauchten Knöchel.
Eine Besonderheit seiner Praxis war auch immer die Tatsache, dass die Ärzte noch Hausbesuche machen. „Das wird auch nach meinem Rücktritt so bleiben“, versichert Dr. Böhm. „Aber nach wie vor gilt die Bitte, uns nur zu einem Hausbesuch zu rufen, wenn es medizinisch absolut nötig und unumgänglich ist“, sagt er, mit Blick auf die Tatsache, dass so mancher vormittäglicher Hausbesuchspatient nachmittags im Café gegenüber der Praxis sitzt.
Zukunftspläne:
Auf den Schritt in den Ruhestand freut sich der Mediziner. „Als Erstes werde ich zwei Monate gar nichts machen“, schmunzelt er. Aber dann will er auch einige Pläne in die Tat umsetzen, die wegen der bisher langen Arbeitszeiten immer aufgeschoben wurden. „Die Garage muss aufgeräumt werden, der Garten braucht Pflege und ich will auch mehr Fahrradfahren“, listet er auf. Allem voran geht aber die Beschäftigung mit seinen sechs- und dreijährigen Enkeln. „Gemeinsam mit ihnen ein Baumhaus zu bauen, steht ganz oben auf der Prioritätenliste“, sagt er.
Auch das Leben zu Hause muss sich neu einspielen. Seine Ehefrau ist als Leiterin der Anne-Frank-Förderschule in Wipperfürth noch berufstätig. „Da werde ich wohl in Zukunft auch mehr kochen“, überlegt er. „Generell bin ich froh, jetzt mehr Zeit in den eigenen vier Wänden verbringen zu können.“ Dennoch möchte er im Ruhestand mehr Zeit für den Palliativverein investieren.
Dr. Reimer Böhm ist sich bewusst, dass er im kommenden, neuen Lebensabschnitt lernen muss, loszulassen. „In der Praxis war ich immer für alles verantwortlich – das machen jetzt andere. Ich brauche diesen klaren Schnitt genauso wie die Praxis ihn braucht. Es gab eine Zeit mit Dr. Böhm und es wird eine ohne ihn geben. Und das ist gut so! Veränderungen sollen und werden kommen.“
Ganz werden die Halveraner auf „ihren“ Arzt aber wohl nicht verzichten müssen. Denn: „Die eine oder andere Urlaubsvertretung werde ich wohl übernehmen“, verspricht er.