Neue Wege in der Ausbildung ihrer Verwaltungsfachangestellten hat die Gemeinde Herscheid beschritten. Die beiden Verwaltungs-Azubis Laura Rosenow (20) und Ole Fehlmann (21) nahmen an einem dreiwöchigen EU-Austauschprogramm in der griechischen Hauptstadt Athen teil. Jetzt prangt das Erasmus-Siegel als Ausweis qualitativ hochwertiger Aus- und Weiterbildung an der Rathaustüre.
Fabian Kunde, Lehrer am Eugen-Schmalenbach-Berufskolleg und und EU-Koordiator bei der Bezirksregierung Arnsberg, war soeben zu Gast im Rathaus. Selbst Herscheider, war es ihm ein besonderes Anliegen, den Ausbildungs-Austausch mit der Gemeindeverwaltung zu organisieren. Das Schmalenbach-Berufskolleg ist die „Berufsschule“ für hiesige Verwaltungsfach-Azubis; Laura Rosenow und Ole Fehlmann werden dort im Blockunterricht beschult.
Ausbildungsbetrieben ist es über das Erasmus-plus-Förderprogramm der Europäischen Union möglich, im europäischen Ausland Erfahrungen zu sammeln. „Da wäre ich vor 37 Jahren auch gerne mitgefahren“, gestand Bürgermeister Uwe Schmalenbach spitzbübisch lächelnd ein – er war schließlich auch einmal Verwaltungslehrling und hatte nicht zuletzt deshalb gemeinsam mit der Ausbildungskoordinatorin der Gemeinde, Sabine Plate-Ernst, den beiden Azubis im dritten Ausbildungsjahr die Zeit in Athen genehmigt.
„Mobilität“ wird das Dreiwochen-Programm Erasmus-intern genannt und eine solche Auslandserfahrung dient dem Zweck, den Horizont zu erweitern, sich in einem anderen Land zurechtzufinden, dort zu arbeiten, aus der eigenen Komfortzone auszubrechen und sich unter ungewohnten Umständen zu organisieren. Griechenland schien besonders geeignet, weil nach der griechischen Finanzkrise das Verwaltungswesen neu geordnet und streckenweise outgesourct wurde. Was in Deutschland in öffentlichen Verwaltung geregelt wird, ist in Griechenland in verwaltungsnah angeordnete, gleichwohl nichtstaatliche NGOs ausgelagert worden – in non-government-organisations.
Die „älteste Demokratie der Welt“ hat sich also gewandelt, was die öffentliche Verwaltung angeht – und überhaupt: „Das ganze Leben ist anders; es sind einfach andere Lebensumstände“, hieß es beim Ortstermin in Herscheid. Die beiden Herscheider Verwaltungskräfte wohnten in Athen gemeinsam mit anderen Teilnehmern der Mobilität in einem Hostel und waren Selbstversorger. Mal wurde gekocht, mal ging man ins Restaurant, was in Griechenland durchaus erschwinglich sei.
Die elfköpfige deutsche Gruppe setzte sich zusammen aus Schmalenbach-Absolventen aus der Wirtschaft, dem Groß- und Außenhandel und der Verwaltung. Neben der Teilnahme am Arbeitsleben wurde gemeinsam viel unternommen, wurde Athen erkundet, die Akropolis angesehen, die reiche Museumslandschaft besucht. „U 23“-Erasmus-Teilnehmer bekommen für die Kulturstätten ein Freiabo, außerdem war die Gruppe mit einer Netzkarte für den öffentlichen Personennahverkehr ausgestattet. „Trotzdem hatte ich jeden Tag über 20.000 Schritte auf der Uhr“, berichtet Ole Fehlmann im LokalDirekt-Gespräch.
Er selbst arbeitete in Athen beim „Greek Forum og Refugees“, einer NGO-Einrichtung, die u.a. bei der Lebensmittelversorgung für Geflüchtete mitwirkt und in einem eigenen Projekt die Lebens- und Gefühlswelt der Geflüchteten der zweiten Generation behandelt.
Laura Rosenow arbeitete bei „solidarity now athens“, einer Organisation, die sie als zweites Rathaus beschreibt. Hier seien eine Art Arbeitsamt, Kinderprogramme, Beratungsleistungen für de Menschen und Recherchen für Unternehmen angesiedelt gewesen.
Beide beschreiben ihre Einblicke als prägend. Ole Fehlmann: „Es war der Wunsch, von der Welt mehr zu sehen als nur die Urlauberwelten.“ Um aber an die Plätze zu kommen, war mehr erforderlich als „nur“ das Ja der Verwaltungsleitung. Gute Fremdsprachenkenntnisse mussten nachgewiesen werden; ein dezidierter Lebenslauf wurde verlangt. „Wir hatten deutlich mehr Bewerber als Plätze in Athen“, sagt Koordinator Fabian Kunde. Interessenten konnten teils umgeleitet werden auf Erasmus-Plätze in Dublin/Irland und Salamanca/Spanien – oder gingen leer aus.
„Erasmus plus“ ist übrigens keine Einbahnstraße – auch der umgekehrte Weg ist denkbar. Sabine Plate-Ernst und Uwe Schmalenbach können sich durchaus vorstellen, Hospitanzplätze für Verwaltungs-Azubis aus dem europäischen Ausland bereitzustellen. Genauso können sie sich vorstellen, auch die nächste Azubi-Generation mit dem „fliegenden Klassenzimmer“ auf Bildungsreise zu schicken. Der Anfang ist also gemacht. Gibt es eine Fortsetzung, Herr Bürgermeister? „Hoffentlich“, sagt er wie aus der Pistole geschossen, bevor Laura Rosenow und Ole Fehlmann ihre Bildungszertikate erhalten und die Plakette „Erasmus plus Ausbildungspartner“ am Rathaus angebracht wird.