Über das hinterlistige Dasein einer Schnecke und die gleichzeitige Hilfe für Patienten.
Sie lebt auf dem Meeresgrund und führt ein hinterlistiges Dasein: die südpazifische Kegelschnecke. Während sie Fische grausam betäubt, um sie zu fressen, kann ihr Gift für Menschen, die an akuten und chronischen Schmerzen leiden, ein Glücksgriff sein. Es hört sich paradox an, aber genauso ist es. Das Gift – als Medikament Ziconotid – gilt in der Schmerzmedizin als Schmerzmittel und wird von Dr. Wolfgang Welke, Chefarzt des Zentrums für Spezielle Schmerzmedizin an der Sportklinik Hellersen, und seinem Team seit vielen Jahren erfolgreich zur Therapie eingesetzt.
Innerhalb eines Bruchteils einer Sekunde zuckt der Fisch zusammen. Ein Entkommen ist ihm nicht mehr möglich. Aber das muss so sein. Der räuberische, ja schon hinterlistige Beutezug der sich langsam bewegenden Kegelschnecke, ist ihre einzige Chance an Nahrung zu kommen.
Ihr Trick: Die Kegelschnecke versteckt sich auf dem Meeresgrund. Lediglich ein kleiner Fortsatz guckt aus ihrem Versteck heraus und lockt die Fische an. Sie halten das herausragende Röhrchen für etwas Essbares und nähern sich. Wenn der Fisch sich in Sicherheit wiegt, schießt die Schnecke einen Pfeil mit dem Nervengift durch diese Röhre und betäubt ihre Beute, um sie anschließend seelenruhig zu verspeisen.
Was sich im Meer wie ein brutales Schauspiel darlegt, hat eine Substanz zum Grund, die in der Schmerzmedizin als ein hilfreiches schmerzlinderndes Medikament eingesetzt wird. Man fand heraus, dass das Nervengift etwa 1000fach potenter ist als Morphium und – den richtigen Umgang vorausgesetzt – Schmerzen unterbrechen kann.
Schmerzempfinden entsteht, weil die Nervenzelle ein elektrisches Signal verstärkt zum Gehirn weiterleitet und so die Empfindung auslöst. Das Ziconotid wird in Form einer wässrigen Lösung direkt in das Rückenmark verabreicht und über einen Silikon-Schlauch in das Hirnwasser weitergeleitet, um dort direkt die Schmerzweiterleitung zu unterbrechen. In einer Operation wird dieser Schlauch und die daran angeschlossene Schmerzpumpe implantiert. Die Schmerzpumpe wird zuvor mit dem Medikament befüllt und programmiert, sodass dem Patienten darüber automatisch täglich eine bestimmte Dosis des Medikaments verabreicht wird.
„Häufig wird Ziconotid bei Patienten mit Nervenschmerzen – neuropathischen Schmerzen – eingesetzt. Diese Patienten wurden zum Beispiel mehrfach an der Wirbelsäule operiert und chronische Nervenschmerzen sind danach verblieben. Aber auch bei Patienten, die auf verschiedene Schmerzmedikamente nicht reagieren, wird dieses Therapieverfahren angewandt“, erklärt Dr. Wolfgang Welke. Mit einem Testkatheter überprüfen die Schmerzspezialisten zunächst, ob der Einsatz von Ziconotid für den jeweiligen Patienten Besserung bewirkt. Das ist sehr individuell.
Auch Patienten, die nicht mit Morphinen behandelt werden möchten oder bei denen dies nicht möglich ist, zum Beispiel aufgrund einer Unverträglichkeit oder starker Nebenwirkungen, können mit Ziconotid behandelt werden.
„Die Ziconotid-Therapie ist mehrheitlich eine Therapie, die wir bei Schmerzpatienten durchführen, die bereits eine gewisse Schmerzkarriere hinter sich haben. Es ist ein Reservemedikament und kann bisher nur über eine Schmerzpumpe ins Hirnwasser verabreicht werden. Das heißt, es gibt noch keine Möglichkeit es oral einzunehmen und es gehört sozusagen zur letzten Wiese der Schmerzmedizin, diese Substanz zu applizieren“, erklärt Dr. Wolfgang Welke. Ein großer Vorteil von Ziconotid ist jedoch: Auch hier gibt es sicherlich Gewöhnungsphänomene, im Vergleich zu Morphinen besteht jedoch kein Suchtpotenzial.
Das Zentrum für Spezielle Schmerzmedizin setzt Ziconotid bereits seit mehr als 15 Jahren ein. „Wir haben etwa 50 Patienten, die über eine Schmerzpumpe mit Ziconotid behandelt werden. Das Medikament wurde 2006 auf dem europäischen Markt zugelassen und mein Team und ich gehörten zu den ersten, die dieses eingesetzt haben. Auch heute sind es nur eine Handvoll Kliniken und Abteilungen, die die Therapie mit Ziconotid anbieten“, berichtet Dr. Wolfgang Welke.
Das Motto der Dosierungsempfehlung: start low, go slow. Die Therapie beginnt mit einer ganz kleinen Dosis von 0,3 Mikrogramm in der Testphase und wird in 0,3 Mikrogramm-Schritten über längere Zeit gesteigert, bis das Dosislevel erreicht ist. Das ist dann der Fall, wenn die Schmerzen des Patienten weniger werden. „Ich habe alle unsere Patienten gesichtet und die Dosis, die bei uns im Durchschnitt als Zieldosis verabreicht wird, liegt zwischen 2 und 8 Mikrogramm – also deutlich unter der ursprünglichen Empfehlung von über 20 Mikrogramm. Mit dieser konservativen Dosisfindung fahren wir sehr gut, auch über längere Zeit. Wir haben Patienten, die das Medikament schon mehr als zehn Jahre bekommen“, erklärt der Chefarzt. Und das Allerwichtigste: Es geht ihnen besser.
Für einige Patienten bedeutet das Medikament einen wahren Neuanfang. Durch die Linderung der Schmerzen können sie wieder ganz normal an ihrem Leben teilnehmen. Sind sie für die Ziconotid-Therapie geeignet, bedeutet diese nach einer langen Schmerzkarriere mit Operationen und diversen anderen Verfahren eine deutliche Steigerung ihrer Lebensqualität.
Sportklinik Hellersen
Paulmannshöher Straße 17
58515 Lüdenscheid
Tel. 02351 945-0
www.sportklinik-hellersen.de
[email protected]