Zugegeben, die Lust auf Wandern mit dem Bürgermeisterkandidaten ist bei 39 Grad nicht besonders groß. Am Wimmelbild wollen wir uns treffen - unten, an der Einmündung zur Werkssiedlung. Von dort soll es runter zur Lenne gehen und wieder rauf. Ordentlich Höhenmeter und kaum ein Windzug. Aber gut, keine Ausreden. Die Trekkingschuhe sind geschnürt, kurze Hose, T-Shirt - also die Redakteurin. Aykut Aggül nicht. Der kommt im luftigen Sommeranzug. Mit Hemd und Sakko. Aykut Aggül ist eben anders. Er bleibt sich selbst treu. Und dass ein Anzug für ihn mehr ist, als gut fürs Foto, erfahren wir später.
"Respekt", entfährt es mir beim Anblick. "Mir ist es so schon viel zu warm", gebe ich lachend zu. "Ich trage gerne Anzüge. Es kommt einfach auf den Stoff an. Ich mag diesen eleganteren Stil", erzählt er. Gemeinsam beschließen wir jedoch aufs Wandern zu verzichten und machen es uns auf einer Bank unter der großen Linde in der Werkssiedlung gemütlich. Schnell sind wir mitten im Gespräch, einem langen. Es ist kein Frage-Antwort-Gespräch. Es ist mehr. Und dauert am Ende mehr als zwei Stunden. Es geht um Politik, um Persönlichkeit und um Herkunft. Aykut Aggül ist vorbereitet. Er weiß, welche Botschaften er in diesem Gespräch vor der Wahl platzieren möchte. Das, was vielen in der Vergangenheit oft fehlte, wird geliefert: konkrete Antworten.
"Eigentlich wollten wir ja unten starten, beim Wimmelbild - aber da ist jetzt zu krass die Sonne", erzählt er. Die Bürgermeisterkandidaten konnten sich aussuchen, wo wir uns treffen. Geplant war mit allen eine kleine Wanderung. "Ich wollte eigentlich von hier runter zum Bereich Jugendzentrum/Bücherei/katholische Kirche, dann rüber zum Rastatt-Gelände und dann wieder hoch. Diese Route ist diese besondere Route, wo ich geboren und herangewachsen bin - und wo ich lebe", erzählt Aykut Aggül. Der Kandidat hat ein Haus an der Ehrenmalstraße gekauft und bezogen. "Geboren bin ich 95 in Iserlohn im Bethanien. Als Säugling bin ich dann an der Wiblingwerder Straße aufgewachsen. Dort lebten meine Eltern gegenüber der Freien Evangelischen Gemeinde", erzählt er. Später zog die Familie an die Ebert-Straße 19 in der Werkssiedlung. Mit 10 Jahren ging es an die Schillerstraße 5.
Aggül und die Werkssiedlung - das ist eine besondere Beziehung. Immer wieder kämpfte er für die Menschen in der Siedlung. Sei es in der Politik oder auch mit dem Vermieter - der LEG. "In jedem Straßenzug kenne ich gut 90 Prozent der Menschen", sagt Aggül. Er kennt nicht nur die Menschen, sondern auch viele ihrer persönlichen Geschichten. Er mag die Menschen und ihm ist es wichtig zuzuhören, hinter die Fassaden zu schauen, um zu wissen, wo er helfen kann, was gebraucht wird. Dass er beliebt ist, wird auch während des Gesprächs deutlich. Immer wieder kommen Fußgänger an unserer Bank vorbei und grüßen freundlich. "Die Menschen, die hier leben, sind alle individuell und hier leben viele, viele Kulturen. Es ist sehr friedlich und familiär", beschreibt er das Umfeld.
Auch er ist zwischen den gelben Häusern groß geworden. Er lebt in dritter Generation dort. Seine Großeltern kamen einst als Gastarbeiter und fassten an der Hagener Straße Fuß, dort wo die Häuser abgerissen wurden. "Man ist hier schon richtig verwurzelt und bleibt hier", betont Aykut Aggül. Und aus diesem Grund setzt er sich auch so stark für die Menschen der historischen Siedlung ein. Und wenn er Bürgermeister ist? Was ist mit den Bürgern aus den anderen Teilen der Gemeinde? Sind die nicht so wichtig? "Das ist natürlich nicht so. Es ist auch jetzt nicht so. Ich bekomme auch Anfragen aus anderen Gemeindeteilen. Gestern noch vom Hermann-Löns-Weg", erzählt der Bürgermeisterkandidat. "Aber ich bin ein direkt gewähltes Ratsmitglied aus diesem Bereich. Und ich mache ja auch nur das, was geht", sagt Aggül und nimmt das Beispiel Straßenreinigung. "In Wiblingwerde sieht es gar nicht so schlimm aus wie hier", sagt Aggül. Für ihn seien alle Ortsteile wichtig.
Aykut Aggül ist 29 Jahre alt, kurz vor der Wahl wird er 30. Damit ist er wohl der jüngste Kandidat im Märkischen Kreis: "Ich möchte Bürgermeister werden, weil ich gerne in dieser Gemeinde den Menschen etwas zurückgeben möchte. Nachrodt-Wiblingwerde hat noch mehr Potenzial, das nicht ausgeschöpft wird. Wir müssen uns überhaupt nicht unterordnen - auch wenn wir die kleinste Kommune im Kreis sind." Zudem möchte er intensiv am Miteinander arbeiten und den Zusammenhalt weiter stärken. "Für mich persönlich sehr, sehr wichtig ist, dass Berg und Tal noch mehr - intensiv - an einem Strang ziehen. Aktuell ist es schon noch so, dass es dieses eine Wort gibt, aber dennoch die zwei Ortsteile", sagt Aggül. Bisher sei das niemandem gelungen.
In der Funktion als Bürgermeister sehe er sich auch als Dienstleister. Die Bürger hätten ihm deutlich gemacht, dass sie mehr wahr- und mitgenommen werden möchten. "Es gibt Gruppierungen, die immer etwas zu sagen haben. Aber es gibt Gesellschaftsschichten, die nicht einmal Thema des Tages werden. Und dafür möchte ich Bürgermeister werden, das ist mein Hauptziel", erzählt der Kandidat. Doch wie soll das gelingen? Aggül: "In den 13 Jahren meiner Ratstätigkeit habe ich tatsächlich sehr viele Menschen erreicht. Wenn man den Menschen die Plattform gibt und sie tatsächlich als Mensch wahrnimmt und die Probleme ernst nimmt und Verbesserungen herbeiführt, dann spricht sich das herum. ,Da ist jemand, der sich kümmert.' Ich habe gute Angebote unterbreitet und hatte noch nie einen Termin, wo sich niemand gemeldet hat." Den Zugang zu den Menschen habe er, da ist er sich sicher. Die Menschen würden sehen, dass er ein Mensch sei, der sich auch bei einem ersten Misserfolg nicht abwimmeln lasse und weiter nach Lösungen für das jeweilige Problem suche. Ein Beispiel sei die Verkehrssituation. "Wenn mir gesagt wird, dass wir kein Berliner Modell installieren können, um die Geschwindigkeit der Autofahrer zu drosseln, dann installieren wir zumindest Streetbuddys", nennt Aggül ein Beispiel. Aufgeben sei für ihn niemals eine Option. Es gebe immer einen Plan B in der Schublade.


Für die Kommunalwahl hat er jedoch keinen Plan B. Anders als Christian Pohlmann von der SPD kandidiert Aggül nicht für ein Direktmandat für den Rat. Er setzt folglich alles auf eine Karte. Verliert er die Wahl, ist er auch kein Mitglied des Gemeinderats. Und die Werkssiedlung verliert eine durchaus starke und laute Stimme im Rat. "Warum? Dafür haben sie einen anderen Vertreter - es gibt ja vier Kandidaten, die für unseren Bezirk hier kandidieren", kontert Aykut Aggül. Von der politischen Bildfläche verschwinden werde er aber gewiss nicht: "Ich kann dir mit Stempel und Siegel versichern, dass ich eine starke Opposition werde. Nicht innerhalb des Rates, sondern aus der Mitte. Ich werde die Bürger in den öffentlichen Sitzungen vertreten. (...) Dass ich nicht Schicht im Schacht mache, das ist so sicher, wie das Amen in der Kirche." Im Wahlkampf wolle er sich aber auf eine Sache konzentrieren.
Aykut Aggül ist ein Familienmensch. Die Meinung seiner Eltern und seiner drei Geschwister ist ihm wichtig. "Das sind meine größten Kritiker in Entscheidungsfragen", erzählt der Kandidat. Die Entscheidung als Bürgermeister zu kandieren habe er natürlich mit seinem engsten Familienkreis im Vorfeld besprochen. Insofern sei diese Entscheidung sehr bewusst getroffen worden. Auf die Unterstützung seiner Familie könne er zählen. "Wir sind nie ausgebremst worden und ich bin auch nur dank meiner Familie überhaupt heute in dieser Position", erklärt Aykut Aggül. Die Geschichte seiner Familie - sein Opa kam als Gastarbeiter, sein Vater mit 6, seine Mutter mit 19 Jahren nach Deutschland - habe seine Persönlichkeit geprägt. Er selbst bezeichnet sich beispielsweise als ehrgeizig und mutig. "Ich bin stark in meiner Person. Ich kann mit vielen Dingen sehr gut umgehen - auch mit Fehlern", sagt Aykut Aggül. Er sei in vielen Bereichen ein Macher-Typ. Ein guter Bürgermeister brauche einen gewissen Ehrgeiz und Kampfgeist, um Dinge umzusetzen.
Im Wahlkampf engagiert sich der Nachrodter insbesondere für die Schwächeren. Auch in seinem ehrenamtlichen Engagement geht es viel um Gruppen am Rande der Gesellschaft. Aber was ist mit den anderen? Beispielsweise den Unternehmen? "Nehmen wir die Lebensmittelunternehmen. Die brauchen dringend Menschen, die hier leben und dort einkaufen. Daher ist auch für die Wirtschaft wichtig, dass die Einwohnerzahl hochgeht und Familien hier bleiben. Dafür muss passender Wohnraum vorhanden sein", erklärt der Bürgermeisterkandidat. Für die Wirtschaftsunternehmen wie AGN, Praedata und Walzwerke - mit denen habe er teils auch Gespräche geführt - sei es wichtig, dass die Steuern nicht rapide steigen, denn das würde den Unternehmen das Genick brechen. "Die müsste ich gemeinsam mit Rat und Verwaltung so unterstützten, dass wir die Steuern so moderat halten können, dass die vor Ort bleiben", erklärte Aggül. Dafür müssten im Haushalt Prioritäten gesetzt werden. Man könne beispielsweise offen und ehrlich sagen, dass die Mittel für eine weitere Sport- oder Mehrzweckhalle am Holensiepen nicht vorhanden sind. Diese seien auch nicht erforderlich, da mit dem Bürgersaal, der am Amtshaus gebaut wird, wieder Raum für die Bürger vorhanden sei. Hinzu komme gegebenenfalls eine Gastronomie auf dem Rastattgelände, für die sich der Kandidat einsetzen möchte. "Du musst, wenn du Schulden aufziehst, es irgendwo wieder reinholen. Und dann werden wir Anfang 2026 wieder über Steuern debattieren", betont Aggül. Dies gelte es zu vermeiden. "Das können wir nicht verantworten. Man muss daher mit offenen Karten spielen."
Aykut Aggül kann im Rat nicht alleine bestimmen. Er braucht Mehrheiten. Er ist sich sicher diese finden zu können. "Wir haben dann ja auch eine neue Konstellation. Die FDP ist beispielsweise auch sehr kritisch, was die Mehrzweckhalle betrifft", sagt Aggül. Natürlich werde am Ende immer der Rat entscheiden. Das müsse dann auch der Bürgermeister akzeptieren. "Wir arbeiten aber ja nicht gegeneinander, sondern zusammen", betonte der 29-Jährige.
Politik sei für Aykut Aggül im Falle einer erfolgreichen Wahl mehr als ein Arbeitgeber. Schon jetzt sei nicht eine steile Karriere sein Ziel. "Es ist ja aktuell mein Ehrenamt. Daher brauche ich als Ratsherr auch keine Aufwandsentschädigung. Für mich ist Politik ein Element, um etwas für die Menschen zu erreichen." Und das sei es auch, was ihm ein gutes Gefühl im Hinblick auf die Wahl gebe. In zahlreichen Gesprächen habe er viel positives Feedback bekommen.
Bekannt ist Aykut Aggül auch durch sein Ehrenamt. Der Kalender, das Denkmal-Fest, die Nachbarschaftshilfe und vieles mehr: Das aufzugeben kommt für den Bürgermeisterkandidaten nicht in Frage. Dafür werde er weiter Zeit finden. "Die Zeit, die ich dann habe, nutze ich dafür. Für mich ist die Allgemeinheit und das Wohlergehen anderer Menschen wichtig. Ich bin kein Mensch, der nur für sich denkt. Ich teile gerne - egal, ob es Energie, Kraft, oder etwas Materielles ist. Ich möchte auch ein Bürgermeister sein, der als Mensch gesehen wird, der sich für andere einsetzt."
Verwaltungserfahrung hat Aykut Aggül nicht. Dennoch traut er sich die Führung im Amtshaus zu. "Ich saß auch im Rat und hatte keine Verwaltungserfahrung. Die Arbeit ist sehr komplex, wenn man sie zu 100 Prozent machen möchte. Wir Ratsmitglieder eignen uns das an und arbeiten uns da rein. In der Funktion als Bürgermeister ist das nicht anders. Man hat seine Fachrichtungen, die man intensiviert. Und man hat ja auch die Fachbereichsleiter, das darf man nicht vergessen", erklärt Aykut Aggül. Menschlichkeit sei wichtiger als Verwaltungskompetenz. Prozentual schätzt der Kandidat den Anteil von Verwaltungsarbeit auf 40 Prozent. 60 Prozent sei Bürgernähe. "Der Bürger muss die Richtung geben." Bei fachlichen Fragen gebe es auch externe Berater und vor allem gute Mitarbeiter in der Verwaltung.
Natürlich kommen wir im Rahmen des Gesprächs auch auf die Brennpunkt-Frage nach dem Beruf zu sprechen. "Ich mache kein Geheimnis daraus", sagt Aykut Aggül. Er arbeitet bei den Märkischen Kliniken in der Kommunikationszentrale. "Mein Arbeitgeber hat nichts mit meiner politischen Laufbahn zu tun", betont Aykut Aggül. Er halte das bewusst strikt aus dem Wahlkampf raus. "Ich bin Angestellter im öffentlichen Dienst - das ist Fakt." Zuvor arbeitete er zwei Jahre beim Deutschen Roten Kreuz im Rahmen des Wiederaufbaus nach der Flut. Einen Studienabschluss hat er nicht. "Ich kann auch Hausmann sein und Bürgermeister werden. Es gibt keine berufsspezifische Richtung für einen Bürgermeister", betont der Kandidat.
Unter den Linden lernen wir auch ein bisschen den privaten Aykut Aggül kennen. Er erzählt von seinem Garten. Rund um sein Haus gibt es so einiges zu tun. Beispielsweise sind dort Gurken und Tomaten zu finden, ein Hochbeet mit Kräutern, Obstbäume, Himbeeren und vieles mehr. "Mein Garten ist ein Biotop für sich", verrät er lachend. Gemeinsam mit der Familie wird die Ernte dann verwertet. Und was viele nicht wissen: In Aykut Aggül schlummert ein Backtalent. "Ich backe sehr gerne Torten und Kuchen." Sein bestes Rezept: "Maulwurfkuchen, aber nicht mit Bananen, sondern mit Zwetschgen und Zimt/Zucker." Beim Backen und im Garten hört er gerne Musik. Was, das hängt von der Stimmung ab. "Ich höre alles. Mal Michael Jackson, aber auch mal WDR 4." Er sei ein echter Naturfan - "auch wenn man mir das so vielleicht nicht ansieht". Also gibt es einen Aykut Aggül in Arbeitskleidung? "Ja, aber das müssen ja nicht viele wissen. Das hat ja mit der Politik nichts zu tun. Privat ist privat." Der Anzug ist sein Markenzeichen. Schon als er 2012 erstmals im Ausschuss saß. 2014 kandidierte er erstmals. Kleidung habe auch etwas mit Respekt zu tun. "Das ist ja nicht just for fun. Wir entscheiden dort über Millionenbeträge und persönliche Schicksale. Meine Kleidung ist ein Zeichen des Respekts vor der Arbeit. Ich würde nie in kurzer Hose und Badelatschen in so 'ne Sitzung gehen - auch damals mit 18 nicht. Jeder hat seinen eigenen Stil. Aber lange Hose und ein Hemd sind schon wichtig", sagt Aggül lachend.