Finanzminister und Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD) hat’s nicht leicht. „Am Mittwoch sitze ich mit Söder im Koalitionsausschuss. Da freue ich mich, dass ich vorher noch bei Euch zu Gast sein darf“, sagte er am Dienstagabend. Die rund 250 Besucherinnen und Besucher vor dem „Lönneberga“ auf dem Graf-Engelbert-Platz fühlten sich geschmeichelt und applaudierten.
„Klingbeil im Gespräch“ lautete das Motto – vor dem vielbeschworenen Herbst der Entscheidungen tourt der SPD-Vorsitzende durch die Bundesrepublik, um für die Positionen seiner Partei zu werben. Der Abstecher nach Lüdenscheid sollte noch einmal Schwung in den Wahlkampf vor Ort bringen. Der Niedersachse kam gut an. Er ist ein hervorragender Redner und immer für eine Show-Einlage zu haben. Zum Abschluss seines Besuchs griff er zur Gitarre und spielte zusammen mit Bürgermeister Sebastian Wagemeyer und Erkan Besirlioglu den „Oasis“-Song „Wonderwall“. Darin heißt es unter anderem „Es gibt vieles, was ich dir gerne sagen würde, aber ich weiß nicht wie . . . “

Lars Klingbeil weiß allerdings, was er wie auf die Fragen aus dem Publikum zu sagen hat. Auf die Frage einer Besucherin, ob den Wehrdienst und Rüstung sein müssen, berichtete er von einem Besuch in Kiew. Ein von russischen Raketen zerstörtes Haus und 25 Tote. „Bilder, die man nie wieder vergisst.“ Er wirbt um Verständnis dafür, dass sich Deutschland gegenüber dem Aggressor Putin wappnen müsse. „Wenn wir uns nicht gut aufstellen, wird er immer weitermachen.

Es geht auch um Kritik an der Abschwächung des Lieferkettengesetzes, an zu hohen Steuern und anderen Abgaben und um die Folgen der CO₂-Bepreisung. Ein Besucher sorgt sich, dass Heizen und Autofahren in Zukunft wohl für ihn unbezahlbar werden. Klingbeil meint, in Sachen CO₂-Bepreisung ließe sich mit dem jetzigen Koalitionspartner noch einmal reden. Und: Die SPD wolle den Öffentlichen Nahverkehr und die kommunale Wärmeplanung fördern. „Aber wir wollen den Menschen nicht vorschreiben, wie sie leben müssen. Niemand soll ein schlechtes Gewissen haben müssen, wenn er Auto fährt oder in den Urlaub fliegt.“
Ziel der SPD sei es vielmehr, gute und sichere Arbeitsplätze zu schaffen. „Das gehört zur DNA unserer Partei.“
Zuvor hatte Lars Klingbeil die Arbeit von Bürgermeister Sebastian Wagemeyer gelobt. „Ohne den ständigen Druck, den er gemacht hat, wäre der Brückenbau nicht so weit wie heute.“

Die Brücke – ein Symbol für die marode Infrastruktur in Deutschland und zugleich ein Beispiel, dass der Staat funktioniert, wenn er müsse: „Das gibt den Menschen verlorenes Vertrauen zurück“, sagt Lars Klingbeil und fordert zugleich eine neue Debattenkultur. „Wir müssen wieder Diskussionen führen, ohne andere zu verletzen.“
Vor dem öffentlichen Auftritt auf dem Graf-Engelbert-Platz hatte sich der Finanzminister mit Vertretern der Wirtschaft getroffen. „Wir wollten ihm klarmachen, wie ernst die Lage ist“, berichtete Fabian Ferber. Dass danach noch ein wenig Zeit blieb, einen Song auszuwählen und kurz zu proben, machte den Besuch des SPD-Chefs in Lüdenscheid schließlich nahezu perfekt.