Neben sieben Polizisten sagte auch eine Sozialarbeiterin des Jugendamtes Märkischer Kreis sowie die Ex-Freundin des Angeklagten aus. Eine zehnte geladene Zeugin musste nicht mehr aussagen, ihre Ladung wurde zurückgenommen. Am umfangreichsten war die Aussage der Exfreundin des Angeklagten. Ihre Aussage wird nun auch von der Staatsanwaltschaft geprüft – es steht der Verdacht im Raum, dass sie im Zeugenstand nicht nur die Wahrheit gesagt hat.
Äußerte Sie zu Beginn ihrer Aussage noch, dass sie sich etwa einen Monat vor der Tat von dem mutmaßlichen Täter getrennt habe und auch seitdem keinen Kontakt mehr zu ihm hatte, stellte sich die Sachlage im Verlauf der Vernehmung in einem anderen Licht dar: Am Tattag haben die beiden sich – wie der Verdächtige am ersten Verhandlungstag ausführlich beschrieb – gesehen und insgesamt zehnmal miteinander telefoniert – auch nach der Tat. Richterin Heike Hartmann-Garschagen merkte bei den vielen Widersprüchen in der Aussage an: „Können sie denn nachvollziehen, dass es alles ein wenig komisch ist, was sie uns hier erzählen“, nachdem sie mithilfe eines Gutachters im Gerichtssaal die WhatsApp-Verläufe auf dem Handy der Zeugin gesichtet hat. Auch dort hatten beide kurz vor und nach der Tat noch Kontakt.
Ebenso überrascht zeigte sich Hartmann-Garschagen über die etwa zweijährige Dauer der Beziehung zwischen der Zeugin und dem Tatverdächtigen, nachdem die Zeugin über die von ihm ausgehende Gewalt innerhalb der Beziehung erzählte. „Er hat mich mal am Handgelenk gepackt und mal mit der Faust oder der offenen Hand geschlagen.“ Bei dieser Aussage blieb die Zeugin auch trotz des mehrfach vorgetragenen Vorwurfes des Angeklagten, dass dies nicht der Wahrheit entspricht. Es war eine der wenigen Momente des Prozesses, in dem ihm eine Gefühlsregung anzusehen war.
Auch die neunte Zeugin des Tages, eine Sozialarbeiterin des Jugendamtes des Märkischen Kreises, bestätigte diese Erfahrungen der Exfreundin. Seit Mai 2018 wird der Angeklagte vom Jugendamt betreut, wie sie berichtete: „Da meldete sich die Schule, da es massive Probleme gab. Maksim ist im April auf die Schule gekommen, im Mai gab es die erste Konferenz mit Beteiligung des Jugendamtes aufgrund des grenzüberschreitenden Verhaltens des Angeklagten.“ Die Sozialarbeiterin berichetet nicht nur von Gewalt, sondern auch von Diebstählen und Tricksereien des heute 19-Jährigen in der Schule sowie einer Jugendhilfegruppe, die ihm durch das Jugendamt vermittelt wurde.
Immerhin ein Lichtblick: Ein ebenfalls im Mai 2018 eingeleitetes Verfahren wegen einer möglichen Kindeswohlgefährdung durch die Eltern wurde eingestellt, da keine Anhaltspunkte vorlagen. „Die Eltern haben sich immer schützend vor Maksim gestellt“, erklärte die Sozialarbeiterin. Trotzdem „überschlug es sich dann mit den Ereignissen“, wie sie weiter ausführte. „Es gab dann [im Mai 2018, Anm. d. Red.] schon erste Meldungen an die Jugendhilfe wegen Strafverfahren. Alle pädagogischen Maßnahmen der Jugendhilfe haben nicht gefruchtet.“ Ein IQ-Test ergab einen Wert zwischen 65 und 75 – laut Fachliteratur „extrem niedrig“. Die Jugendhilfe war der Ansicht, es handele sich eher um ein psychiatrisches Problem als ein pädagogisches.
Auch in das Leben des mittlerweile – unabhängig vom verhandelten Fall – verstorbenen Opfers gab es tiefere Einblicke durch einen der ermittelnden Polizisten. Vor seiner Tätigkeit bei der Kriminalpolizei war dieser viele Jahre im Streifendienst im Volmetal und kannte den Geschädigten daher. Er bot einen Einblick in die mutmaßliche Gefühlswelt des Opfers und berichtete, dass der Geschädigte bereits vor mehreren Jahren einen Suizidversuch hinter sich hatte. „Wir hatten alle das Gefühl, dass Herr G. sich gefangen hat, von einer Suizidalität war nichts mehr zu erkennen. Wir hatten alle den Eindruck, er hätte sich gefangen. Der Stoß vor das Auto hat ihn zurückgeworfen“, schilderte der Beamte seine Einschätzung. Auch wenn der Geschädigte ein Alkoholproblem hatte, „im Grunde war mit Herrn G. gut auszukommen“, war seine Einschätzung.
Zum Ende des Verhandlungstages brachte die Verteidigerin den Antrag ein, ein biomechanisch-unfallanalytisches Gutachter eines externen Sachverständigen einzuholen. Sie begründet dies mit den deutlich voneinander abweichenden Zeugenaussagen sowie den vielen Ungereimtheiten. Zudem bezweifelt sie, dass bei einem kräftigen Stoß, wie es ihrem Mandanten vorgeworfen wird, lediglich zu so geringen Verletzungen und so geringen Schäden am PKW kommt.
Der nächste Verhandlungstag ist für den 14. Mai vorgesehen, dann wird unter anderem das Gutachten des forensisch-psychiatrischen Gutachters Dr. Nikolaus Grünherz erwartet. Die Verhandlung vor der zweiten großen Jugendkammer des Landgerichts beginnt um 9.30 Uhr.