Bisher galten Fehlfahrten – also Rettungseinsätze, bei denen es nicht zu einem Patiententransport kommt, die betroffene Person den Transport verweigert, vor Ort medizinisch versorgt wird, ohne dass eine Weiterbehandlung in einer Klinik notwendig ist oder am Einsatzort verstirbt – als kostenrelevant. Etwa 20 bis 25 Prozent aller Rettungsdiensteinsätze im Ennepe-Ruhr-Kreis fallen unter diese Kategorie. Die Krankenkassen haben diese seit Jahrzehnten finanziert. Nun berufen sie sich auf eine Neuauslegung des Sozialgesetzbuchs V, demzufolge Kosten nur bei einem tatsächlich durchgeführten Transport erstattungsfähig seien.
Landrat sieht Patienten als Leidtragende
„Bei den Verhandlungen über die Gebührensatzung für den Rettungsdienst des Kreises teilten die Krankenkassen überraschend mit, dass sie nicht mehr für die sogenannten ‚Fehlfahrten‘ des Rettungsdienstes aufkommen wollen“, teilt die Kreisverwaltung am Mittwoch, 4. Juni, mit. Landrat Olaf Schade äußert sich besorgt über die Konsequenzen dieses Kurswechsels: „Ich finde es unverantwortlich von den Krankenkassen, eine seit Jahrzehnten bewährte Übernahme der Kosten von Fehleinsätzen plötzlich einzustellen“, kritisiert Schade.
Schade warnt davor, dass diese Entscheidung letztlich die Bevölkerung treffen könnte: „Es gilt unter allen Umständen zu verhindern, dass der Streit auf dem Rücken der Patientinnen und Patienten ausgetragen wird, die fürchten müssen, mehrere hundert Euro für notwendige Rettungstransporte nicht von ihren Krankenkassen ersetzt zu bekommen.“ Denn sollten sich die Krankenkassen nicht zur Kostenübernahme bereit erklären, müsste der Kreis, der gesetzlich dazu verpflichtet ist, den Rettungsdienst kostendeckend zu organisieren, die Kosten für Fehlfahrten künftig von den Patientinnen und Patienten einfordern.
Gesprächsformat auf Landesebene eingerichtet
Dem Vorhaben der Krankenkassen stehe außerdem das Rettungsgesetz auf Landesebene entgegen, das Fehlfahrten ausdrücklich als ansatzfähige Kosten einordnet, heißt es in der Mitteilung der Kreisverwaltung.
Um eine Lösung zu finden, sei bereits auf Initiative des NRW-Gesundheitsministeriums ein Gesprächsformat mit den kommunalen Spitzenverbänden von Landkreis- und Städtetag sowie Vertretern der Krankenkassen eingerichtet worden. „Ich erwarte, dass sich die Krankenkassen jetzt auf Gespräche mit den Kreisen einlassen, um zumindest eine vorübergehende Lösung zu finden, bis eine Reform der Gesetzeslage auf Bundesebene erfolgt ist“, appelliert Schade an die Krankenkassen.
Hintergrund: Bedarfsplanung und Gebühren im Rettungsdienst
Die Kreise und kreisfreien Städte sind verpflichtet, eine flächendeckende und bedarfsgerechte Versorgung mit Rettungsdiensten sicherzustellen. Dazu erstellt die Kreisverwaltung regelmäßig einen sogenannten Rettungsdienstbedarfsplan. Dieser legt fest, wo Rettungswachen stehen, wie viele Einsatzfahrzeuge erforderlich sind und wie der Krankentransport organisiert wird.
Zur objektiven Einschätzung wird dabei ein externer Gutachter hinzugezogen. Auf Basis dieser Bedarfsplanung kalkuliert der Kreis jährlich die erwarteten Kosten für das kommende Jahr und setzt diese in einer Gebührensatzung fest, die vom Kreistag beschlossen wird.
Für das Jahr 2025 hatte Verwaltung bereits Mitte 2024 beschlossen, die Neukalkulation nicht wie üblich zum 1. Januar, sondern ausnahmsweise zum 1. Juli vorzunehmen: „Da im Herbst 2024 eine Fortschreibung des Rettungsdienstbedarfsplans erforderlich war und damit einhergehend zwangsläufig deutliche Betriebskostensteigerungen zu erwarten waren.“ Daher sei erst nach Fertigstellung der Kalkulation das gesetzliche geregelte Beteiligungsverfahren mit den Krankenkassenverbänden im 2. Quartal 2025 eingeleitet worden.