Mehr als eine Stunde lang saß der forensisch-psychiatrische Gutachter im Zeugenstand und berichtete der 2. Großen Jugendkammer ausführlich von den Gründen, die ihn zu dieser Einschätzung bewegt haben. Insgesamt hat er knapp sieben Stunden mit dem Jugendlichen geredet, zahlreiche Arzt- und Haftberichte studiert, eigene Untersuchungen veranlasst und auch im Rahmen der bisherigen vier Verhandlungstage regelmäßig Notizen zu den Aussagen der Zeugen und des Beschuldigten gemacht.
„Grundsätzlich war es so, dass wir uns gut verstanden haben. Mir gegenüber war er freundlich. Ich hatte nicht das Gefühl, dass er im Sprachvermögen eingeschränkt war“, berichtete Grünherz. Trotzdem hat er bei der Auswahl für Tests, zum Beispiel zur Bestimmung des Intelligenzquotienten (IQ) darauf geachtet, dass diese ohne sprachliche Barrieren lösbar sind. „Der Wert ist höher als der von der Sozialarbeiterin, das liegt vielleicht daran, dass er in seiner Entwicklung weiter ist, oder dass die anderen Tests auch auf Sprache basieren“, erklärte er den Wert von bis zu 83, den er ermittelt hatte. Dieser ist nur wenige Punkte entfernt von einer durchschnittlichen Intelligenz, die zwischen 85 und 115 liegt. „Insgesamt hat er eine leichte Intelligenzminderung in Kombination mit einer deutlichen Verhaltensauffälligkeit“, fasste Grünherz diesen Aspekt seines Gutachtens zusammen.
Deutliche Störung des Sozialverhaltens
Denn deutlich auffälliger als die leichte Intelligenzminderung sei seiner Meinung nach das Sozialverhalten des Angeklagten. Grund für die „Störung des Sozialverhaltens bei fehlenden sozialen Bindungen“, wie Grünherz sie nannte, könnte unter anderem eine frühkindliche Hirnschädigung aufgrund von Sauerstoffmangel bei der Geburt gewesen sein. Daraus resultierte die in den vorgangegangenen Verhandlungstagen utner anderem „gravierend fremd- und eigengefährdene Tendenzen“, wie es laut Grünherz die zuletzt besuchte Förderschule bescheinigte, die ihn gemeinsam mit dem Jugendamt als „nicht beschulbar“ einschätze. Auch die JVA Wuppertal-Ronsdorf teilt laut des Gutachtens diese Einschätzung und sieht keine Perspektive für einen erfolgreichen Schulabschluss.
Im Gespräch mit dem Gutachter habe Maksim V. geäußert: „Er sei doch immer zu allen nett gewesen, die Probleme kommen einfach so. Er wollte doch nur allen Leute helfen und jetzt sitze er hier“, berichtete Grünherz. Seiner Einschätzung nach sieht der Angeklagte die Schuld immer bei anderen. „Auch seinen Eltern hat er nicht vertrauen können, da sie ihn zu oft angelogen haben“, erläuterte er die weitere soziale Situation des Angeklagten. Zudem fühlte sich der Angeklagte laut Aussagen in den Gesprächen abgehört und von Kameras überwacht. In Kombination mit verschiedenen Tests, die Grünherz durchgeführt hat, kommt er zu der Einschätzung, „dass man davon ausgehen muss, dass es sich hier um eine instabile Persönlichkeitsstörung handelt.“
In seiner Zusammenfassung betonte er jedoch: „Wir haben eine Störung auf psychiatrischem Fachgebiet, aber es entspricht nicht der juristischen Definition einer schweren Störung. Im Alltagsleben hat er durchaus seine Kompetenz.“ Auf Nachfrage von Richterin Heike Hartmann-Garschagen erklärte er jedoch: „Dass er wenig Unrechtsbewusstsein hat, das kann man ihm schon bescheinigen.“ Abschließend fasste er zusammen: „Insgesamt ist aus meiner Sicht jedoch keine Einschränkung der Schuldfähigkeit gegeben.“
Zu diesem Entschluss waren augenscheinlich auch schon weitere Richter gekommen, denn vor der Aussage des Gutachters verlas die Vorsitzende Richterin unter anderem die zahlreichen Einträge des Angeklagten aus dem Bundeszentralregister sowie die Urteilsbegründung des Amtsgerichtes Lüdenscheid zu einer vorangegangen Verurteilung aufgrund von gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen.
Beweisantrag abgelehnt
Zudem lehnte die 2. Große Jugendkammer den Antrag der Verteidigerin Günel Celik ab, ein biomechanisch-unfallanalytisches Gutachten einzuholen.
Der letzte Verhandlungstag in dem Verfahren ist für den 15. Mai am Landgericht Hagen geplant. Hier verkündet die 2. Große Jugendkammer, wenn keine neuen Erkenntnisse dazu kommen sollten, ihr Urteil. Beginn des letzten Verhandlungstages ist um 9.30 Uhr.
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Bericht des ersten Verhandlungstages
Bericht des zweiten Verhandlungstages
Bericht des dritten Verhandlungstages
Bericht des vierten Verhandlungstages